Donnerstag, 7. August 2008

Wenn Dumpster-Diver nach weggeschmissenen Pausenstullen tauchen.

Wurstbrot

Jeder hat das schon Mal als Kind gemacht. Jede Wette. Das klobige, kastenartige Pausenbrot von Mutti in Alufolie eingewickelt in der großen Pause in tutto im Schul-Mülleimer versenkt und sich vom Taschengeld lieber was im Supermarkt um die Ecke geholt. Oder einen Döner. Die Besten unter uns hatten dabei vielleicht einen Anflug von schlechtem Gewissen, aber hey. Das Pausenbrot ab und zu wegschmeißen gehört zum Lifestyle als Schüler. Irgendwie. Aber als Erwachsener? Gerade gestern habe ich eine fast volle Aufback-Brötchentüte von Aldi im Müll entsorgt. Ein oder zwei der traurigen Dinger waren verzehrt, der Rest im Gemüsefach vergessen und unansehnlich schleimig geworden. Weg damit! Dann hat die beste Ehefrau von allen (Copyright E. Kishon) noch den ganzen üblen Rest an abgelaufenem Zeugs aus dem Kühler geschmissen. Da waren: Ein Glas mit Ananas-Kirsch-Tomaten vom Penny (was zum Teufel...?), unangetastete Peperoni, fauliger Salat, pappig eingetrocknete Erdnuss-Soße, Zitronen-Gras von unschöner Konsistenz, Bio-Erdnussbutter, die mittlerweile ein bisschen zu sehr Bio war, sowie eine noch eingeschweißte Bio-Salatgurke.

In der "Süddeutschen Zeitung" stand neulich, dass in Deutschland pro Jahr Lebensmittel im Wert von rund 15 Milliarden Euro weggeschmissen werden. Das sind zehn Prozent des Jahres-Umsatzes des Lebensmittelhandels. Ei der daus. Allein die auf die Verwertung von Speiseresten und Tierkörpern spezialisierte Firma Berndt würde pro Jahr 70.000 Tonnen "überlagert" Lebensmittel entsorgen. Pervers, aber was will man machen?



Es gibt Zeitgenossen in unserer Straße, die lösen das Überschussproblem auf sehr elegante Art und Weise: Sie bringen ihre überflüssigen Lebensmittel zu uns! Wir haben ein Kind und einen Hund und sehen offenbar so aus, als könnten wir nicht kochen. Darum klingelt es in regelmäßigen Abständen und die freundliche Nachbarin steht vor der Tür mit einem Topf Schmorfleisch, Linsen oder Dampfnudeln. Etwas in der Art. Das ist lieb und manchmal kommt das Essen auch gerade Recht. Manchmal nervt es aber auch. Sobald eine Mutter im Haus ist, wird dann angefangen zu backen. Ein Kuchen muss her, egal ob man Hunger hat, Appetit oder eben nicht. So läuft das.

Zusammenfassend könnte man festhalten: Früher war es ein Problem für die Leute, genügend Essen zu beschaffen. Heute ist es ein Problem, sich das überflüssige Essen vom Leib zu halten. Problem unserer Gesellschaft: Essen, das ungefragt ins Haus kommt. Lösung leider alzuoft: der Mülleimer oder wie manche Diddl-infizierte Mutter heutzutage vielleicht neckisch formulieren würde: der Mülli.

Derart bedrängt von unbestellt ins Haus strömenden Essen hat sich eine neue Form der Freizeitbeschäftigung etabliert: containern. Containern ist, wenn man nach Feierabend loszieht und Müll-Container von Supermärkten nach Essbarem durchwühlt. Nicht etwa, weil man bedürftig ist, sondern weil man dem Konsumterror zeigen will, was eine Harke ist. UNd vielleicht auch auf der Suche ist nach dem letzten Kick, wasweißich. Die Ergebnisse solcher Beutezüge werden zum Beispiel im Anonymen Container Blog gesammelt. Dumpster Diver nennen sich diese Öko-Schleicher, die auch schon Mal von einem Supermarkt verklagt werden. Den Märkten ist das Wühlen in Müllcontainern gar nicht recht, weil abgelaufene Lebensmittel laut Gesetz nicht mehr in Umlauf gebracht werden dürfen. Und was bringt's?

Eintrag im Container-Blog vom 11. Juni 2008:
Lachs und Schinkenkäse vom letzten Mal lagen noch immer unangetastet im Kühlschrank und wurden - diesmal von uns - dem Mülleimer übergeben.

Auch die Dumpster-Diver sind offenbar nicht ganz frei von den Zwängen des Überflusses.

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