Donnerstag, 12. Februar 2009

Mehrpreis für Menschenwürde: 20 Cent

Vor wenigen Tagen schrieb ich über eine Studie, die das Südwind-Instituts zum Thema “Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschäft - Aldi Aktionsware aus China” gemacht hat. Ich habe das Thema zum Anlass genommen, die Autorin der Studie zu interviewen. Ingeborg Wick ist bei dem Institut zuständig u.a. für Sozialstandards im Welthandel und Arbeitsbedingungen in der weltweiten Bekleidungsindustrie. Mich interessiert an dem Thema vor allem die Verantwortlichkeit der westlichen Industrienationen aber auch der einzelnen Konsumenten. Der Kunde befindet sich in einem Dilemma: Entweder er unterstützt durch seine Konsum ausbeuterische Verhältnisse in fremden Ländern oder er wendet sich teilweise obskuren mit sehr viel Weltanschauung aufgeladenen Öko-Produkten zu. Umso ärgerlicher ist das Ganze, wenn man sich vorhält, was es jeden Einzelnen kosten würde, würden z.B. Arbeiterinnen in Kleiderfabriken in Entwicklungsländern halbwegs ordentlich bezahlt: Der Mehrpreis für menschwürdige würdige Arbeitsbedingungen würde bei einem 20 Euro teuren T-Shirt auf rund 20 Cent betragen.

[caption id="" align="alignleft" width="100" caption="Ingeborg Wick"]Ingeborg Wick[/caption]

Aldi hat gerade Werbung gemacht für Herrenhemd zu 5,99 Euro das Stück. Wenn ich so ein Hemd kaufe, unterstütze ich dann automatisch die Ausbeutung von chinesischen Arbeiterinnen in Aldi-Zulieferbetrieben?

Ingeborg Wick: Viele Käufer und Käuferinnen bei Discountern wissen heute ganz genau, was sie da kaufen. Gerade erst waren Arbeitsbedingungen bei Discountern Thema beim "Tatort" und der anschließenden Talkrunde bei "Anne Will". Die Käufer wissen im Prinzip Bescheid aber sie drücken das weg. Die größte Käufergruppe bei Aldi sind Besserverdienende. Die kaufen oft Luxusgüter und kombinieren das mit Billig-Schnäppchen beim Discounter. Das Bewusstsein über die Herstellungsbedingungen bei Discountern ist zwar gewachsen, viele wollen aber nicht wahr haben, dass sie mit ihrem Einkauf ein Steinchen zu Ausbeutungsverhältnissen beitragen.

Wenn ich in einen Markenshop gehe und z.B. ein Hemd, ein Sportkleidungsstück oder eine Outdoorjacke für weit über 100 Euro kaufe, dann sind diese teuren Markenprodukte meistens auch in China hergestellt. Kann ich als Kunde davon ausgehen, dass ein teures Markenprodukt unter würdigeren Bedingungen produziert wurde als Discounter-Ware?

Überhaupt nicht. Wir haben ähnliche Fallstudien wie nun bei Aldi auch schon bei Adidas, Otto, Karstadt, C&A, Puma gemacht. Wir wollen aber klarmachen, dass mit dem Prinzip des Discounters eine weitere Verschärfung des Wettbewerbs eintritt. Arbeits- und Sozialrechte werden auch bei der Herstellung von Markenprodukten in Entwicklungsländern systematisch außer Kraft gesetzt.

Der Preisunterschied zwischen Discounter-Ware und Markenprodukten ist aber eklatant. Wo geht die Differenz hin, wenn die Produktionsbedingungen im wesentlichen gleich sind?

Ein Markenunternehmen wie Adidas hat im Vorfeld der Fußball WM in Deutschland über eine Milliarde Euro für Marketing und Werbung ausgegeben. Aldi hat einen Werbe-Etat von rund 250 Millionen Euro pro Jahr. Werbung für ein Markenprodukt ist ungleich teurer als für Discounter-Produkte. Bei Marken haben sich auch Sponsorenverträge in Millionen-Höhe als Normalität durchgesetzt und es fließt viel Geld in die Produktentwicklung. Für Produktentwicklung geben die Discounter kaum etwas aus, oft handelt es sich bei ihren Ware ja um umdeklarierte Produkte von Markenherstellern.

Damit stehe ich als Kunde vor einem Problem. Ich kann mir quasi aussuchen ob die Leute in China ausgebeutet werden, indem ich das billig Hemd im Discounter kaufe oder ich gebe mehr Geld aus, die Arbeiter werden auch ausgebeutet und ich finanziere Markenherstellern noch ihre Marketing-Abteilung und sorge dafür, dass David Beckham genügend Lamborghinis in der Garage hat.

Es gibt in der Tat ein Käufer-Dilemma. Aber wir können Einfluss nehmen, indem wir als Käufer in Filialen zum Ausdruck bringen, dass wir diese Praktiken kennen, missbilligen und bestimmte Schritte erwarten. Zum Beispiel sollte ein Unternehmen seine Einkaufspraktiken offen auf den Tisch legen und Lieferfristen so gestalten, dass an den Produktionsstätten Arbeitszeiten überhaupt eingehalten werden können. Noch viel wichtiger aber ist, dass wir bei Partien und der Regierung Druck machen und uns in die politische Debatte einmischen. Die Unternehmen müssen  z.B. über das Verbraucherinformationsgesetz dazu verpflichtet werden Auskunft zu geben, wie ihre Produkte hergestellt werden. WIr wollen das im nächsten Jahr über eine Revision des Verbraucherinformationsgesetzes erreichen. Das bestehende Gesetz ist eine Lachnummer.

Aldi, Tchibo, Lidl und andere sind sind der so genannten Business Social Compliance Initiative beigetreten, die sich dafür einsetzt, dass globale Arbeitsstandards eingehalten werden Sie kritisieren das als Feigenblatt-Aktion. Warum?

Das ist eine Initiative, die sich im großen und ganzen selbst kontrolliert. Die Business Social Compliance Initiative ist von den Unternehmen selbst gegründet worden und untersteht keinerlei unabhängiger Kontrolle.

In ihrer Studie wird auch festgehalten, dass immerhin in den untersuchten Fabriken Mindestlöhne gezahlt werden, es wurde keine Kinderarbeit festgestellt und es gab sogar teilweise gewisse Sozialleistungen, wie Gratis-Mahlzeiten oder Unterkünfte. Könnte man doch sagen: Gar nicht so schlecht...

Bei bis zu 91 Arbeitsstunden pro Woche und der Verweigerung von Mutterschutz- und Gewerkschaftsrechten und so niedrigen Löhnen, dass alle wild auf Überstunden sind, kann man nicht zufrieden sein. Die aktuell untersuchte Region in China liegt außerdem nördlich von Hong Kong und steht stark im Fokus internationaler Beobachtung. Außerdem haben wir diesmal große Fabriken mit über 10.000 Beschäftigten untersucht, die u.a. Elektronikartikel herstellen. Fabriken in anderen Regionen, die Kleidung herstellen sind meistens viel kleiner und dort finden auch die meisten Verstöße gegen Arbeitsrechte statt. In großen Fabriken sind die Standards erfahrungsgemäß ein bisschen besser, aber immer noch alles andere als gut. Auch dort sind die Löhne so schlecht, dass die Arbeiterinnen davon nicht leben können.

Wo liegt das Grundproblem - sind wir Konsumenten zu geizig oder sind die Konzerne zu gierig?

Beides kommt zusammen. Aber das ökonomische Gewicht des einen Kunden kann man nicht mit dem ökonomischen Gewicht eines Konzerns vergleichen. Ich habe einen relativ begrenzten Einfluss beim Einkaufen und kaum Alternativen. Es gibt zwar einen alternativen Markt, auf den ich bei manchen Produkten ausweichen kann, aber im Massenmarkt gibt es meist keine Alternative. Ein großes Unternehmen ist zwar den Zwängen des globalen Wettbewerbs ausgesetzt aber Standards aus Völkerrechtsnormen könnten und müssten trotzdem eingehalten werden. Das tut ein Unternehmen aber nur, wenn es Sanktionen fürchten muss. Ohne staatliche Sanktionen werden Standards konsequent unterboten.

Und wenn das Image eines Unternehmens gefährdet wird?

Der stärkste Druck auf Unternehmen ist die staatliche Sanktion. Schlagzeilen in der Presse bringen relativ wenig. Und was Sanktionen gegenüber Unternehmen betrifft, die Arbeitsnormen unterlaufen, da gibt es im Völkerrecht ein Vakuum.

Wieviel würde ein T-Shirt mehr kosten, wenn es in China unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt wird?

Die Lohnkosten bei Bekleidung betragen unter einem Prozent des Endverkaufspreises. Und der Lohn ist für die Beschäftigten etwas ganz Elementares. Wenn wir den Lohn also verdoppeln, würde das im Endverkaufspreis kaum etwas ausmachen. Ein T-Shirt, das heute 20 Euro kosten, enthält 20 Cent Lohnkosten. Wenn wir das verdoppeln, würde das T-Shirt statt 20 Euro 20 Euro und 20 Cent kosten.

Ein lächerlicher Betrag

In der Tat

9 Kommentare:

  1. Die Antwort auf die Frage nach dem "Mehrpreis" (die Gänsefüßchen finde ich hier mehr wie richtig) müsste man viel stärker in die Öffentlichkeit tragen, denn dass können die wenigsten einschätzen.

    Einzig und allein die Politik könnte m.M.n. etwas grundlegend verändern nur die werden sich hüten mittels Abgaben und/oder Vorschriften die Unternehmen zur Räson zu bringen. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre natürlich der nicht institutionelle Shareholder (vulgo Kleinaktionär).

    Ich befürchte wir Kunden werden mit dem Dilemma weiterleben müssen, oder wir stricken uns alles selber.

    Ich für meinen Teil kaufe nie beim Discounter, der Hauptgrund dafür ist, dass ich die Atmosphäre in diesen Schuppen nicht aushalte - versnobte Einstellung, ich weiß;-)

    AntwortenLöschen
  2. Ich kaufe eigentlich ganz gerne bei Aldi ein. gehöre auch zu der Sorte Kunde, der sowohl bei Aldi kauft als auch teure Sachen. Ich finde sowohl Kunden sollten ihre Missbilligung für die beschriebenen Zustände zum Ausdruck bringen, aber vor allem sollten auch Unternehmen sich endlich ihrer Verantwortung über die Netto-Rendite und den Shareholder-Value hinaus bewusst werden.

    Eine Firma, die sich hinstellt und sagt: Schaut her, wir ermöglichen unsere Produzenten ein würdiges Leben und das Shirt kostet Euch nur 20 Cent mehr, die könnte auch Erfolg haben, denek ich. Das gute Gefühl als Kunde ein reines Gewissen zu haben, ist bestimmt vielen 20 Cent Wert.

    Diese Preis-Fixierung der Discounter ist in der Tat zum Kotzen. Gerade läuft ja wieder so eine aufgeheizte Preis-Reduzierungs-Kampagne. Das trichtern die Discounter den Leuten ja auch förmlich ein, dass es nur auf den Preis ankommt.

    AntwortenLöschen
  3. Danke für das interessante Interview!

    Was den "Mehrpreis" angeht - leider widerspricht dieser dem Discount-Prinzip, alles so billig wie möglich zu machen und die Kosten so weit es nur irgend geht, zu drücken (auch bei den Zulieferern). Siehe beispielsweise das Buch von Franz Kotteder "Die Billig-Lüge - Die Tricks und Machenschaften der Discounter".

    Ich kaufe schon seit längerem nicht mehr bei Discountern ein und rate auch allen in meinem Bekanntenkreis davon ab, wobei die Arbeitsbedingungen sowohl hierzulande wie auch in anderen Ländern nur einen Teil des Problems darstellen (ich mag solche Ausbeutungsunternehmen nicht noch mit meinem Geld unterstützen und in ihren Tun bestärken) - tatsächlich schadet man sich mit dem vermeintlichen Sparen nur selbst bzw. der Gesellschaft, da Discounter eine Abwärtsspirale in Gang setzen, bestehend aus Umweltbelastungen, Arbeitsplatzvernichtung im Einzelhandel, Lohndrücken usw. usf. Generell ist halt alles eine Frage der Präferenzen, was man wo kauft bzw. was einem wichtig ist (kurzfristig eigenes Geld sparen vs. ein unsinniges System unterstützen)...

    Siehe auch meine zweiteilige (zuweilen zugegebenermaßen auch etwas poelmische ;-) Analyse:
    http://konsumpf.de/?p=2353
    http://konsumpf.de/?p=2766

    Übrigens, die Atmosphäre bei Aldi, Lidl & Co. finde ich auch furchtbar, das ist mit ein Grund, diese hässlichen Baracken nicht zu betreten. ;-)

    AntwortenLöschen
  4. Übrigens frage ich mich gerade, wo Du eigentlich diese "obskuren Öko-Produkte" verortest...??? Ich kaufe relativ viel Bioware, entweder vom Wochenmarkt oder im Bioladen, und da ist nichts "obskur"; "Obskur" war vielleicht der Einkauf vor 10-20 Jahren, als nur echte "Ökos" diese Läden betrieben und betraten. Aber heutzutage? Und zudem schmeckt Bioware halt oft besser als der Industriefraß (vergleiche mal den Geschmack der Gepa Fairena Bio Vollmilchschokolade mit dem mit Zusatzstoffen zugekleisterten Mist, den Du von Milka, Nestlé o.ä. bekommst!). Von daher finde ich Produkte wie von den Gentechnik-Freaks von Nestlé 1000Mal eher obskur.

    AntwortenLöschen
  5. Ach ja genau, das "obskur" habe ich auch nicht verstanden hab's aber über'm Schreiben wieder vergessen. Was meinst Du damit?

    AntwortenLöschen
  6. Das "obskur" war wohl eine blöde Wortwahl. Ich meine damit Nischen-Ökoprodkte, die noch mit einem meiner Auffassung nach etwas angestaubten "Müsli"-Image belegt sind. Es gab ja früher solche eher freudlosen Bio-Läden mit ein paar verhutzelten Karotten und diesen bärtigen Verkäuferin und Frauenzimmern im Selbstgebatiktem die alle gräulichverhärmt aussahen. Heute gibt es hier und da auch noch Restbestände solcher Ur-Ökos und auch Klamotten-Labels mit Namen wie Fairliebt. Sowas mag ich eher nicht, das ist mir zu angestrengt verkniffen. Ich bin ja durchaus ein Freund des gepflegten Konsums und will Spaß am Einkaufen haben. Aber ich will gute Produkte erwerben, für die nicht unbedingt Leute irgendwo auf der Welt ausgebeutet wurden. Das sollte doch eigentlich möglich sein...ist aber offenbar schwierig. Das "obskur" ersetze ich mal...

    AntwortenLöschen
  7. ... wie gesagt, das mit den "angestaubten Ökoläden" war früher, vor 10-20 Jahren. Heute sieht das anders aus. Wobei die Atmosphäre bei einem heutigen Aldi ja nun noch extrem viel ekliger ist als selbst in einem 80er Ökoladen ;-)

    Die Obskurität der Produkte ist heute komplett auf die Industriewaren übergegangen, die uns in den Supermärkten so bunt anblinken - keiner weiß so genau, was da alles dahinter- und drinsteckt.

    Gerade im Kleidungsbereich ist es wirklich schwierig, faire Alternativen zu finden, jedenfalls bei den normalen Großketten, das stimmt wohl. Im Nahrungsbereich ist das aber längst kein Problem mehr.

    (Übrigens, kann es sein, dass die Uhr Deines Blogs nicht stimmt? Dein Beitrag von eben stammt von 16:33, dabei ist es jetzt erst 16:18 Uhr...!)

    AntwortenLöschen
  8. Aah ja, kapiert. Wobei ...das Personal ist heute mit Sicherheit professioneller, aber nicht die Kundschaft :-D

    AntwortenLöschen
  9. [...] Mein Leben als Kunde-Blog hat am Freitag ein Interview mit Ingeborg Wick geführt, die als Autorin für die neue Südwind-Studie über die beschämenden Arbeitsbedingungen [...]

    AntwortenLöschen