Donnerstag, 8. Oktober 2009

New York und Heddesheim haben mehr gemeinsam, als man denkt

Über die sehr hilfreichen Lesetipps "6 vor 9" des Bildblog bin ich auf ein Porträt über den Journalisten Hardy Prothmann aufmerksam geworden. Ich stolperte zunächst darüber, weil Prothmann früher auch mal kurz bei meinem Ex-Arbeitgeber, dem "kress report" tätig war und ich ihn daher flüchtig kenne. Die Website evangelisch.de schrieb nun über ihn und sein heddesheimblog ein Porträt. Mit dem heddesheimblog will Prothmann in seinem Heimatstädtchen Heddesheim, nahe der Kurpfalz-"Metropole" Mannheim, eine Art alternativen Lokaljournalismus aufziehen. Kritischer, schneller, diskussionsfreudiger als die verschnarchte Lokalpresse vom "Mannheimer Morgen". Dabei geht es keineswegs nur um Skandälchen. Im heddesheimblog werden auch die Ergebnisse vom Schwimmwettkampf veröffentlicht oder eine Fotogalerie vom Tanzsportwochenende. Zum Schwimmwettkampf gibt es dann auch mal einen Kommentar, der den Verein kritisch anfasst. Für Vereine in der Provinz eine ganz neues Mediengefühl.

Prothmann berichtet in dem Porträt, dass ihm von erbosten Zeitgenossen sogar schon ein Nagelbrett unter die Autoreifen geschoben wurde! Grund sind offenbar seine kritischen Berichte und Kommentare zur umstrittenen Ansiedlung des Logistikunternehmens Pfenning in Heddesheim. Aber auch andere Themen errgen die Gemüter, z.B. ob Heddesheim ein "Oktoberfest" braucht. Prothmann berichtet nach fünf Monaten von über einer Millionen Seitenaufrufen und durchschnittlich über 1.500 Besuchern auf seinem Blog. Für ein, pardon, Kaff mit etwas über 11.000 Einwohnern ist das bemerkenswert.

Was kann man daraus lernen? Zum einen: Es gibt ganz offenbar einen Bedarf an besserem Lokaljournalismus. Man könnte auch sagen: Heddesheim ist überall. Fast in jedem Dorf oder in jeder Kleinstadt ist die lokale Berichterstattung der örtlichen Tageszeitung von einer fast unerträglichen devoten Haltung den Honoratioren gegenüber geprägt. Es werden Vereinsberichte von pensionierten Lehrern ins Blatt gehoben und jedes kritische Wort zu Lokalpolitik und lokaler Wirtschaft ist tabu. Es herrscht eine lähmend langweilige Konsensgesellschaft.

Prothmann will sein Heddesheimblog jetzt auch vermarkten, Anzeigen schalten und das Lokalblog zu einem echten Full-Time-Job ausbauen. Zeitmäßig ist es das offenbar schon, er berichtet von einem 16-Stunden-Arbeitstag. Allerdings gebe es auch Druck von Einzelnen, keine Anzeigen auf seinem Blog zu schalten. Spannend zu sehen, wie das Projekt weitergeht.

Für Tageszeitungen bestünde hier auch eine Chance, aktiv zu werden, eine ganz neue Art von lokaler Berichterstattung zu betreiben. Aber das hofft man wahrscheinlich vergebens. Die Angst vor den  Anzeigenkunden und  Lokalgrößen dürfte die Überzahl der Lokalzeitungen in ihrer Schockstarre festhalten bis irgendwann der Exitus eintritt. Das Beispiel heddesheimblog zeigt auch, dass Weblogs tatsächlich eine neue Form von Publizität und eine Bereicherung für den Journalismus sein können. Bemerkenswert auch, dass Prothmann für sein Blog bereits eine Hospitantenstelle ausgeschrieben hat, die er sogar mit 250 Euro pro Monat plus Artikel-Honorar vergüten will. Bessere Konditionen als bei so manchem "echten" Medienunternehmen.

Und was hat das jetzt mit New York zu tun? Nun, die "New York Times" hat bereits vor einiger Zeit selbst ein lokales Blog-Projekt gestartet: The Local. Hier bloggen Reporter der "New York Times" über ihren Stadteil, banales, Service-Themen und so weiter. Im Prinzip nicht anderes als das heddesheimblog. Nur eben in New York.

12 Kommentare:

  1. Habe mal ein wenig in dem Prothmann-Blog gelesen... Ich bin da nicht so schlüssig, ob das wirklich gut gemachter Lokaljournalismus auf Mikro-Ebene ist oder da nur jemand schreibt, über den bei den Gemeindeversammlungen alle die Augen verdrehen.

    Trotzdem ist das Projekt interessant und könnte Vorbildfunktion haben.

    Spannender aber finde ich das Projekt hier:

    http://www.altona.info/

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  2. Ja klar, Prothmann ist sicher jemand, der auch, äh, polarisiert. Aber dass die Dödel in der Gemeindevertretung die Augen verdrehen, ist ja erst Mal nichts Schlechtes. Die Altona-Site sieht sehr gut aus. Kennst Du noch mehr solcher Beispiele?

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  3. Naja, der Trend der Überlegungen geht in meinen Augen eher in die Richtung lokale Nachrichtencommunity - also eben die Trennung von professionellem und Bürger-Journalismus.

    Ein Beispiel, was ich noch kenne, wäre http://www.jenapolis.de/ Ansonsten wären noch die Überlegungen zum Basic-Projekt BUZZriders zu nennen - könnte interessant werden. Auch dafür gibt es eine Reihe internationaler Beispiele.

    Ich finde aber tatsächlich am Prothmann-Beispiel charmant, dass es - eben weil er so "eine Marke" ist - eine sehr persönliche Note hat.

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  4. Buzzriders wird scheitern. Zu verkopft. Jede Wette.

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  5. Guten Tag Herr Stawowy!

    Kommen Sie doch einfach mal auf eine Gemeinderatssitzung, dann brauchen Sie nicht zu spekulieren.

    Sie können auch gerne zur Fachtagung "Besser online", am 21. November 2009 nach Mainz kommen.

    Guter Journalismus - auch im Lokalen - hat immer mit Recherche zu tun. Zu Ihrer Person finde ich sehr wenig zu Journalismus, dafür aber umso mehr zu Vermarktung - mit der hochinteressanten Zielgruppe "Jugend":
    http://en.sevenload.com/videos/8Ka6k0S-Peter-Stawowy-Print-Journalismus-fuer-Jugendliche

    Da auch Ihr Kollege Christoph Zeuch (altona.info), der mehr Werber und Vermarkter denn Journalist ist, im selben Segment unterwegs ist, frage ich mich, inwieweit Sie hier eine objektive Empfehlung geben oder nur Schleichwerbung machen?

    Beste Grüße
    Hardy Prothmann

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  6. Und noch einen Guten Tag!

    Ich lerne ja immer gerne dazu und bin mächtig gespannt auf Ihre Antwort...

    Auf jenapolis schreiben TuS Jena, aufgeschnappt, Polizei Jena, mdr Thüringen usw.

    Da ist sozusagen jede Menge Meinungs- und Themenvielfalt geboten. Die Spannung und Aktualität und vor allem die Relevanz ist aber auch ordentlich.

    Wenn das für Sie ein Beispiel für guten Journalismus ist, was ist dann für Sie richtig guter Journalismus?

    Beste Grüße

    Hardy Prothmann

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  7. Hi Stefan,

    long time no hear.

    Schönes Einsatz-Porträt über mich :-)

    Als Ex-Kressi bist Du ja wie auch Dein Ex-Kollege Stawowy ein Meister im Kurznachrichtenstil...

    Schöne Grüße

    Hardy

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  8. Endlich eine Tageszeitung für das "Kaff" Heddesheim. Viele zeigen ihr Gesicht nicht. Lesen aber bevor MM Nachrichten das heddesheimblog. Denn hier wird NEUTRAL und OFFEN berichtet. Und .... zeitnah!!!
    Das Mitteilungsblatt sowie MM "hinken". UFB-Journalismus (Ultra-Fine-Business). Weiter so. Blutgruppe I endlich abgeschafft.
    WEITER SO !!!

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  9. Zur Aufklärung Blutgruppe I bedeutet nicht "Insolvenz" und ist auch keine Verdächtigung oder Unterstellung.
    ..... wie sagte mal jemand:
    DIE GEDANKEN SIND FREI ......

    Was sagt das Umfeld vom "Kaff" ???????

    Ich denke hier an Hirschberg und Ladenburg,

    GUT NÄCHTLE

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  10. Guten Abend,

    nunja die Seite kommt mir doch etwas sehr aufbauschend und reißerisch vor. Mir kommt vor allem bei besagter "Pfenning"-Ansiedlung irgendwie der Gedanke auf, dass das alles doch sehr einseitig geschrieben ist. Denke, dass dieser Blog kein Vorbild sein darf. Zumal Herr Prothmann auch auf, ich nenne sie mal, "angebliche" Bedrohungen eingeht, sie aber nicht belegt. Irgendwie ziemlich einseitig. Habe mich aber auch nur durch 3 - 4 Artikel gelesen.

    Karl

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  11. Ich verfolge den Blog schon eine Weile. Habe das gefühl, daß Hardy
    Prothmann hier viele Dinge schreibt die ihn in seinem Kleinkrieg gegen
    den Bürgermeister voranbringen. Ohne Anstand berichtet Prothmann ja über
    alles, was ihm verwertbar erscheint und neue viel beschworene
    Klickzahlen bringt. Er sollte aufpassen, daß er nicht seine
    Glaubwürdigkeit verliert. Das hat mit Seriosität (Selbstdarsteller?),
    die er so lobt nichts zu tun. Da ist sein Investigativblog und seine Methoden glaube ich eine Nummer zu groß für diesen kleinen Ort , denn so viele angebliche
    skandale kann es ja gar nicht geben. Arme Hedesheimer.

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