Mittwoch, 4. Februar 2009

Südwind-Studie: Wie es bei Aldi-Zulieferern in China zugeht

Arbeiterinnen in China



Das Südwind-Institut aus Siegburg hat gerade eine Studie zu den Arbeitsbedingungen Zulieferbetrieben von Aldi in China herausgegeben (obiges Foto habe ich aus der Studie entnommen). Die Studie legt den Finger in eine Wunde der westlichen Konsumgesellschaft: Alle wissen im Prinzip, dass es nicht ohne ethisch fragwürdige Arbeitsbedingungen funktionieren kann, wenn ein Discounter Schuhe, Jogging-Klamotten oder sonstwas für ein paar Euro fuffzig auf den Markt haut. Trotzdem kaufen wir dort ein. Ingeborg Wick ist für die Südwind-Studie "Arbeits- und Frauenrechte im Discountgeschäft - Aldi Aktionsware aus China" dorthin gegangen wo die Ware herkommt, mit der wir Westeuropäer uns gerne und günstig einkleiden: ins Perlflussdelta nach China.

Die Kritikpunkte die bei der verdeckten Befragung von weiblichen Beschäftigten in sechs Fabriken herausgearbeitet werden, sind nicht neu oder besonders sensationell aber grundsätzlich und grundsätzlich nachdenkenswert. Im Wesentlichen geht es um Folgendes:

  • Gesetzliche Mindestlöhne in China (maximal rund 113 Euro pro Monat) reichen nicht aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken.

  • Gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeiten und Urlaubstage existieren nur auf dem Papier. Zwöf-Stunden Tage an sechs bis sieben Tagen pro Woche sind die Regel.

  • Fabriken üben mit Geldstrafen und anderen Sanktionsmaßnahmen Druck auf die abhängig Beschäftigten aus.


An eine geregelte Mitbestimmng ist in chinesischen Fabriken ohnehin nicht zu denken. Ich möchte die genauen Umstände, die die Studie aufzeigt hier nicht näher vertiefen. Wer Interesse hat, kann beim Südwind-Institut vorbeischauen und die Studie hier auch herunterladen. Es ist allemal lohnender Lesestoff. Mit geht es vor allem darum, was die Zustände in Produktionsländern wie China für uns als Konsument hier in Deutschland bedeuten. Welche Verantwortung haben wir? Kann uns das egal sein - nach dem Motto: die Chinesen sind es nicht anders gewohnt und ohne die Zulieferung zu Aldi und Co gäbe es dort gar keine Arbeit? Sollen wir Discounter boykottieren und nur noch beim irren Herrn Grupp Trigema T-Shirts kaufen, weil die in Deutschland genäht werden? Es ist schwierig,  hierauf eine schlüssige Antwort zu finden. Zumal das Problem, denke ich, weit über Discounter hinausgeht.

Nehmen wir mal an, ich kaufe meine nächste Laufjacke nicht für, sagen wir mal 12.99 im Aktionsangebot bei Aldi, sondern greife zu einer Jacke für rund 90 Euro von Adidas, Nike oder Puma. Wo ist diese teure Markenjacke dann hergestellt? In China! Wer sagt mir, dass die teure Markenjacke nicht aus einer Fabrik im Perlflussdelta kommt, die direkt neben der Aldi-Fabrik steht und die genau die gleichen miesen Arbeitsbedingungen hat? Glaubt jemand, dass ich China an der einen Ecke die finstere Discounter-Fabrik steht und gegenüber flanieren die sozial exzellent abgesicherten Angestellten in die Nike-Nähfabrik? Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich glaube, die Arbeitsbedingungen für Näherinnen sind in China ziemlich genau die gleichen, egal ob Discounter- oder Markenware.

Wofür bezahle ich dann den deutlichen Preisaufschlag bei Adidas und Co? Die Markenindustrie meint, für die bessere Qualität, Verarbeitung, das Design. Ganz ehrlich: Ich kann bei Sportklamotten, Hemden und sonstiger Oberbekleidung keinen Qualitätsunterschied zwischen Discounterware (zumindest der von Aldi) und teurer Markenware feststellen. Meine 99-Euro-Marken-Hightech-Regenjacke von Marmot ist genauso undicht wie die 9,99-Euro-Aldi-Regenjacke. Beim Design und dem Coolness-Faktor mögen die Markenwaren einen Vorsprung haben, der ist mit der Zeit aber auch ziemlich geschrumpft. Das Discounter-Zeug sieht heutzutage nicht mehr wirklich schlecht aus.

Wohin fließen also die 90 Euro Mehrpreis bei der Markenware? Mein Verdacht: ins Marketing und in die Konzernbilanz. Für den ethisch bewussten Kunden ist das ein Dilemma. Wo bleibt denn da meine Wahl? Ich unterstütze die Ausbeutung in China und anderswo, ganz egal ob ich beim Discounter kaufe oder anderswo. Man dürfte Klamotten reinen Gewissens nur noch bei Läden wie Hess Natur kaufen, die auf einen ganzheitlichen Aspekt beim Herstellen von Kleidung wert legen. Aber hey! Nur noch bei Ökoläden einkaufen, die schaurige Namen tragen wie Greenality, Glücksstoff oder Fairliebt? Das macht doch auch keinen Spaß!

Organisationen wie das Südwind-Institut und CCC (Clean Clothes Campaign) versuchen, mit Hilfe von Veröffentlichungen und Aktionen vor allem Druck auf die Discounter zu machen. Das alles ist nicht ohne Erfolge. Im Vorfeld einer Demo-Aktion von CCC vor Aldi-Filialen im Frühjahr 2008 ist Aldi der "Business Social Compliance Initiative" (BSCI) beigetreten, was der Discounter nicht versäumt uns Kundenauf der Homepage mitzuteilen. Der Schurke vom Dienst, Evil-Lidl, und die Röster-Bande von Tchibo sind auch schon drin, im BSCI. Und was sagt Südwind zu besagtem BSCI:
Das erklärte Ziel der BSCI ist eine Verbesserung von Sozialstandards in den globalen Zulieferketten von Mitgliedsunternehmen, allerdings mit freiwilligen Selbstverpflichtungen, und ausdrücklich in Opposition zu bindenden gesetzlichen Regelungen. (...) Im "Good Company Ranking" 2007 des Manager-Magazins hatte Aldi z.B.die drittschlechteste Position von 120 Unternehmen eingenommen, vor Lidl und Glencore.

Glencore ist ein Rohstoff-Konzrn aus der Schweiz, der mit Aluminium, weiteren Metallen, Ölen und Agrarprodukten handelt. Aldi, Lidl und ein Dritte-Welt-Ausbeuter, der mit Schwermetallen handelt. Ein hübsches Trio. Was die Leute bei Südwind uns damit sagen wollen ist, dass sie die Mitgliedschaft im BSCI für eine Feigenblatt-Aktion von Aldi und Konsorten halten, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Schaut her, der Konzern tut was, so die Aussage, wir sind Mitglied in diesem Dingens hier für soziale Verantwortung und Blablabla. Aus genau diesem Grund hat Südwind die aktuelle Studie gestartet, um zu beweisen, dass solche Lippenbekenntnisse nicht reichen.

Echte Fortschritte, die es in den Produktionsländern bei den Arbeitsbedingungen gibt, bleiben in der Südwind-Studie nicht unerwähnt. So wird explizit gelobt,dass drei der sechs untersuchten Fabriken mittlerweile bezahlten Mutterschutz anbieten.
Eine ansonsten seltene Leistung unter den Privatunternehmen der Region, um die auch viele Frauen des globalen Nordens noch immer kämpfen.

Auch die Tatsache, dass es überhaupt Mindestlöhne gibt, die eingehalten werden, dass keine Kinderarbeit vorgefunden wurde und dass einige Fabriken soziale Leistungen, wie etwa kostenlose Mahlzeiten, zur Verfügung stellen wurde gelobt. All dies reicht aber nicht aus, um die Arbeitsbedingungen dort, weit weit weg von der nächsten Aldi-Filiale, erträglich zu machen. Firmen und Journalisten weisen bei solchen Themen gerne darauf hin, dass wir, die Konsumenten, ja die Schuld haben und wir uns darum nicht aufzuregen brauchen, weil wir ja alle bei Aldi einkaufen. Ist das so? Ich glaube, wenn sich große Konzerne und Discounter darauf verständigen würden, dass man den Leuten vor Ort auch ein würdiges Auskommen lassen sollte, wäre der Preisanstieg von der Kundschaft durchaus zu verkraften. Oder geht es am Ende doch eher um den Aktienkurs und die Netto-Rendite? Ich fürchte: ja.

5 Kommentare:

  1. [...] die Produktion aus Deutschland komplett nach Tschechien und Griechenland, aber immerhin nicht nach China. Schiesser wird nun auch von Fehlern der Vergangenheit heimgesucht. So ist die Firma in den 90er [...]

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  2. [...] keine Kassierinnen gegängelt und ausspioniert. Aber die Produkte kommen natürlich aus denselben Quellen. Und wer weiß, vielleicht werden die Webdesigner bei der Arbeit kameraüberwacht? Das nötige [...]

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  3. [...] wenigen Tagen schrieb ich über eine Studie, die das Südwind-Instituts zum Thema “Arbeits- und Frauenrechte im [...]

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  4. Michael Krause (hess28. Mai 2009 um 16:40

    Hallo Stefan,

    mit großem Interesse habe ich Deinen - wertvollen! - Beitrag gelesen. Ich war im März auf Reisen in Asien und habe u.a. einige Tage in Dhaka verbracht, der Hauptstadt Bangladeschs. Das, was ich dort an Textilfabriken aus der Ferne gesehen habe, hat mir schon gereicht (mal abgesehen von Grameen Knitwear). Viele Fabriken in China dürften ein ähnliches Bild abliefern.

    Deine Frage nach der Verantwortung, was eine soziale und gerechte Herstellung von Textilien angeht, finde ich spannend - wobei ich eine Verständigung aller Konzerne dieser Welt für nur schwer umsetzbar halte. Selbst wenn man das auf den Weg bringen würde und einige oder viele mitmachen - das Thema "Preis" wird doch wieder die Entscheidung von Konsumenten beeinflußen. Und salopp gesagt macht der Wettbewerb damit Produkte wieder billiger, die vielleicht zuvor einen Preisanstieg erfahren haben. Eben aus Gründen einer fairen Produktion.

    Ich glaube, die letzte Entscheidung für oder gegen ein Produkt können bzw. müssen wir alle als Kunden fällen - Stichwort "Politik mit dem Geldbeutel". Da haben wir es mit unserer Entscheidung und unserer Wahl in der Hand. Ich kann für 2,99 Euro ein T-Shirt beim Discounter kaufen, 100 % Baumwolle. Oder bei uns in den Laden gehen und ein T-Shirt für 17,90 Euro kaufen, 100 % BIO-Baumwolle und unter fairen Bedingungen produziert. Das liegt also wirklich in der Hand des (aufgeklärten) Verbrauchers. Die Möglichkeiten, nachhaltig zu konsumieren, sind da!

    Noch ein Punkt zum Thema "Made in China", das mir bei hessnatur begegnet: Wir produzieren auch in China - ganz bewusst! Weil wir einzelne Staaten pauschal nicht ausschließen wollen, wenn es hier gute Produktionsstätten mit Know How und Standards gibt, die unseren Richtlinien für eine sozial faire Produktion entsprechen.

    Das ist auch ein Aspekt von Nachhaltigkeit: Mit solchen Kooperationen den Menschen vor Ort eine Perspektive bieten zu können. Zumal aus China Materialien wie Seide oder Hanf kommen, die man in anderen Ländern in einer solchen Qualität nicht bekommt. Erfahrungsgemäß ist es auch so, dass dort neben dem Fachwissen für den Anbau auch das Know How für die weitere Bearbeitung und Produktion von Textilien vorhanden ist.

    Wir monitoren übrigens unsere Lieferanten zum einen selbst über entsprechende Experten im Haus (CSR - Sozialstandards in der Konfektion), zum anderen über die unabhängige Fair Wear Foundation aus Holland. Mit dieser Organisation finden u.a. in China Worker Trainings statt. Das sind Schulungen für die Arbeiter zum Thema Arbeitsrecht ihres Landes - damit sie ihre Rechte kennenlernen und wissen, wie sie sich selbst dafür einsetzen können.

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  5. Hallo,

    vielen Dank für den aufschlussreichen Kommentar. Es stimmt natürlich, dass auch die Verbraucher "Schuld" an teilweisen unwürdigen Produktionsbedingungen haben. Mir geht es aber auch vor allem darum, dass ich mich als Konsument nicht nur vor die Wahl gestellt werden möchte Textil-Discounter oder Öko-Ware. Um es mal zuzuspitzen. Ich frage mich eher, wo geht das ganze Geld hin, das Marken-Unternehmen einnehmen, die auch in Dritte-Welt-Ländern produzieren. Mehrausgaben für Design, Patente und Werbung mal abgezogen. Warum kostet eine in Bangladesh produzierte Outdoor-Jacke viele hundert Euros? Mich würde mal eine genaue Kosten-Bilanz eines solchen Produkts interessieren. Ich glaube, wir brauchen hier staatliche und internationale Regeln, die faire Produktionsbedingungen festschreiben. Bevor dies möglich ist, muss es atürlich bei den Konsumenten ein Bewusstsein dafür geben, dass es überhaupt ein Problem gibt.

    Beste Grüße

    Stefan Winterbauer

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